Wenn große Projekte in eine Schieflage geraten, sind meistens vorher Änderungseingriffe der Bauherren erfolgt.
Jede Änderung bezieht sich auf einen Ausgangszustand, der offenbar irgendwann aus welchen Gründen auch immer vom Bauherrn nicht mehr als ausreichend angesehen wurde, d.h. eine Betrachtung des Änderungsverhaltens ohne die Auseinandersetzung mit der Ausgangssituation ist unvollständig.
Beim Autokauf weiß z.B. jeder vernünftige Besteller, dass er die Ausstattung nach der Auftragsbestätigung nicht mehr ohne Konsequenzen ändern kann, und wird deshalb gleich zu Beginn sein gewünschtes Fahrzeug genauso konfigurieren, wie er es hinterher gerne geliefert haben möchte. Deshalb ist die Automobil-Industrie insoweit in der komfortablen Situation, dass sie konkrete belastbare Bestellungen erhält und nicht mit Änderungen zu rechnen hat.
Im Vergleich dazu sieht sich die Bauindustrie mit der Situation konfrontiert, dass der Bauherr
- nicht auf Kataloge zurückgreifen, sondern seine Bestellung abstrakt formulieren muss. Seine Bestellung bezieht sich nicht nur auf den Planungs- und Bauausführung, sondern wirkt auch über die Nutzungsdauer von mindestens 30 Jahre ( = Gewährleistungszeit) nach und
- inhaltlich oft sehr eng in den Planungs- und Entstehungsprozess eingebunden ist und darüber hinaus über direkte, umfangreiche Zugriffsmöglichkeiten auf die Projektbeteiligten verfügt.
Wegen dieser Randbedingungen führen lang wirkende Bestell-Entscheidungen auf der einen Seite und sich rasch verändernde Anforderungen auf der anderen Seite dazu, dass der Bauherr oft seine Bestell-Entscheidungen möglichst lange hinauszögert. Und im Nachhinein korrigiert er dann oft auch noch seine als falsch identifizierte Bestellungen, weil der Gesetzgeber ihm dies erlaubt.
Verspätete und/oder geänderte Bestell-Entscheidungen erzeugen generell Unsicherheit und erhöhen das Kostenrisiko. Der Bauherr sollte deshalb so früh wie möglich seine Bestellung präzise formulieren und dabei ebenfalls die Zukunft möglichst zutreffend beschreiben. Sollte seine Prognose sich im weiteren Projektverlauf als nicht richtig herausstellen, wäre es sicher im Sinne aller Planer und Ausführenden, einmal von ihm erkannte Fehlentwicklungen mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl nur soweit zu korrigieren, dass die ursprünglich vereinbarten Projektziele nicht gefährdet werden.
These
Es gibt fast immer eine Diskrepanz zwischen zu Beginn unpräzisen Bestellungen im Baubereich und endgültig beauftragten und ausgeführte Leistungen! Das ist praktisch ein in der Baubranche systemimmanentes Problem, das fast bei allen größeren Baumaßnahmen zu Meinungsverschiedenheiten führt und nicht selten vor Gericht landet.
Im Detail
- In größeren und komplexeren Projekten entspricht der Bauherr oft einer Gruppe von Beteiligten mit jeweils eigenen konträren Anforderungen an das Projekt, was die Formulierung einer klaren Anforderung an das Projekt erschwert.
- Einmalige Bauprojekte, Unikate, beginnen zwangsläufig mit unvollständigen Projektaufträgen, weil Projektziele und Projektinhalte im Sinne einer Bestellung erst erarbeitet werden müssen.
- Die Qualität der Projektaufträge führt zu unsicheren inhaltlichen Zielen, Kosten- und Terminzielen. Und wenn dann noch in einem zu frühen Stadium das Kostenziel festgeschrieben wird, kann das oft nur noch durch Anpassung der Ziele (Termine / Inhalte) mit meist nicht vermeidbaren Kostenüberschreitung gehalten werden.
- Der bauliche Bedarf wird bei Projektbeginn meist auf der sicheren Seite ( = zu hoch) eingeschätzt. Dagegen werden Kosten und Termine i.d.R. zu niedrig veranschlagt. Ob dies aufgrund fehlender Kenntnis oder fehlgeleitetem Optimismus geschieht, höhere Kosten und längere Realisierungszeiten bei verringertem Leistungsumfang sind die wahrscheinlichen Folgen.
- Die genauen terminlichen oder kostenmäßigen Auswirkungen von Änderungen etwa auf den anschließenden Planungs- und Bauprozess oder auf resultierende Haftungsfragen können nur anhand verbindlicher Angebote oder Prognosen bewertet werden. Die voreilige Bewertung nur des unmittelbar „sichtbaren“ Änderungsgegenstands birgt die Gefahr einer zu optimistischen Einschätzung in sich.
- Berichte stützen sich bevorzugt auf Fakten und klammern Unsicherheiten aus. Solche Berichte sind unvollständig und schönen die Realität. Werden Unsicherheiten später zu Fakten und finden erst dann den Weg in den Bericht, ist es zum Gegensteuern meist zu spät.
- Zu Projektbeginn ist ein erhöhter Aufwand zur Definition des Projektauftrags zu leisten, ggfs. sind dabei auch Variantenbetrachtungen durchzuführen. Dies stabilisiert die Anforderung, verbessert die Klarheit und senkt den späteren Änderungsbedarf.
- Teile des Projektauftrags, die zu Projektbeginn noch nicht geklärt werden können, sind systematisch in Form von Reserven oder Risiken einzustellen und dem Projekt zuzuordnen. Diese Posten sind im weiteren Projektverlauf systematisch zu bewirtschaften und je nach Fortschritt und Erkenntnis entweder in Leistungen des Projekts zu überführen oder aufzulösen.
- Im Projekt ist ein leistungsfähiges Änderungsmanagement zu etablieren. Es prüft und bewertet jede Änderung hinsichtlich aller zu erwartender Auswirkungen auf das Projekt und spricht Handlungsempfehlungen aus. Wird die Änderung genehmigt, ist der Projektauftrag entsprechend fortzuschreiben, wodurch die Änderung indirekt Bestandteil eines durchgängigen Steuerungs- und Berichtswesens wird. Erst dann darf die Änderung umgesetzt werden.
(Frei nach Patrick Wenzel (1.WVPM))